Destinationsmanagement 3.0: Was ist anders?
Aktuelle Herausforderungen im Tourismus
Märkte verändern sich, auch im Tourismus. Touristische Destinationen müssen sich ebenso wie Reiseveranstalter oder Hotels an neue Marktbedingungen anpassen, um weiterhin ein gefragtes Zielgebiet zu sein. Urlauber haben höhere Ansprüche als früher, entscheiden kurzfristiger und sind reiseerfahrener, neue Technologien mischen die klassischen Buchungswege auf, der Wettbewerbsdruck steigt, Stammgäste werden weniger und das Klima verändert sich – genug Herausforderungen für Destinationsmanagement-Verantwortliche.
Gegengesteuert wird z.B. durch eine klare Positionierung, manchmal gelingt der Aufbau einer Marke durch ein Alleinstellungsmerkmal. Eine andere Strategie ist die Profilierung durch bestimmte touristische Themen oder die Ansprache bestimmter Zielgruppen.
Die größte Herausforderung bleibt jedoch die Digitalisierung: Die Bedeutung der sozialen Medien insbesondere für den Tourismus wächst, die Destinationen mit eigenen Buchungssystemen und eigenen Pauschalangeboten erhalten massive Konkurrenz durch große Vermittlungs- und Buchungsplattformen wie booking.com, Holidayinsider oder Casamundo und müssen sich zusätzlich nach den großen Suchmaschinen ausrichten (SEO = Suchmaschinenoptimierung), um von potentiellen Urlaubern gefunden zu werden. Somit sind Destinationen stetig gefordert, ihren Mitarbeiterpool hinsichtlich der benötigten Kompetenzen zu überprüfen und ggf. anzupassen, während sie gleichzeitig Prozesse verändern müssen.
Mit der Entwicklung und dem Management von Destinationen haben sich die Schweizer Professoren Thomas Bieger und Pietro Beritelli intensiv befasst, u.a. in ihrem Buch „Management von Destinationen“ sowie in „Destinationsstrukturen der 3.Generation – Der Anschluss zum Markt“. Der Lüneburger Professor Edgar Kreilkamp hat die einzelnen Entwicklungsschritte in „Destinationsmanagement 1.0, 2.0. und 3.0“ benannt; Bieger u.a. nennen sie 1., 2. und 3.Generation.
Destinationsmanagement 1.0
Ein kurzer Blick zurück: Wo kommen die meisten Destinationen her? Aus sehr kleinteiligen Strukturen. Bis weit in die 1990er Jahren gab (und gibt es z.T. heute noch) viele kleine Tourismusinstitutionen, meist Vereine, die für ihr sehr begrenztes Gebiet mit wenigen Betten und noch weniger Finanzen touristisch agierten. Da die Mittel so beschränkt waren, konnten kaum Marketingaktivitäten durchgeführt werden, geschweige denn eine Marke bzw. ein Bekanntheitsgrad aufgebaut werden. Ausnahmen waren Orte, die durch Prominente (Sylt, St.Moritz), TV-Serien (St.Peter Ording, Schwarzwald) oder durch Events (München/Oktoberfest, Kiel/Kieler Woche) einen hohen Bekanntheitsgrad erreichen konnten. Das Problem der geringen Mittel wurde noch dadurch verschärft, dass sehr viele Abstimmungen zwischen Orts-, Regional- und Landesebenen notwendig waren und, wie ich aus eigener Erfahrung als Destinationsmanagerin weiß, häufig keine Übereinstimmungen zu Marketingmaßnahmen oder Produktentwicklungen erreicht werden konnten. Unter diesen Voraussetzungen konnte keine erfolgreiche Marktbearbeitung umgesetzt werden.
Destinationsmanagement 2.0
In der Schweiz, die uns ebenso wie Österreich häufig im Tourismusmanagement und -marketing voraus ist, entschieden Schweizer Tourismusdirektoren in einer Arbeitsgruppe unter Leitung der bekannten Tourismus-Professoren Hans-Ruedi Müller und Thomas Bieger 1995, dass eine Destination eine Mindestgröße von einer Mio. Übernachtungen sowie ein Marketingbudget von mindestens 1. Mio. CHF haben müsse, um sie als Marke erfolgreich auf dem touristischen Markt zu platzieren. Dafür wurden die ersten Aufgabenteilungen besprochen, Kräfte gebündelt und die finanziellen Mittel zentral eingesetzt: Das Marketing wurde von den Destinationsorganisationen geplant und umgesetzt, die Orte waren für den Gästeservice verantwortlich.
Die Destinationen haben lt. Bieger vier zentrale Funktionen:
- Leitbild- und Planungsfunktion
- Interessenvertretung insbesondere gegenüber der Politik
- Marketingfunktion (Kommunikation, Vertrieb) und
- Angebotskoordination (Produkt- und Prozessmanagement, Preis- und Personalmanagement).
In diesen Funktionen wird deutlich, dass sie wie ein virtuelles Unternehmen mit zwei Schwerpunkten agieren sollen: Zum einen „Create attention and access“ (Bieger), also eine Plattform für alle Anbieter der Region und potentielle Gäste bereitstellen: Markenbildung, Positionierung für eine geografisch festgelegte Region, Internetauftritt, Buchungssystem, Printmedien u.a. gemeinwirtschaftliche Leistungen, kommunal finanziert.; zum anderen „Hard Selling“ (Bieger), also Entwicklung und Vertrieb von Produkten und Pauschalen in Zusammenarbeit mit bestimmten Anbietern (z.B. nach Qualitätsstandard), Tätigkeit als Reiseveranstalter, Verkauf von Marketingbeteiligungen, Souvenirs etc., somit gewinnorientiertes Arbeiten.
In Deutschland folgte die Entwicklung zeitverzögert, jedoch mit ähnlichen Inhalten: 2007/2008 entwickelten die Tourismusberater des N.I.T. Kiel und von project m im Auftrag des Wirtschaftsministeriums Schleswig-Holstein einen Leitfaden zur Optimierung der lokalen Strukturen“, um die Bildung von „Lokalen Tourismus Organisationen (LTO)“ in drei Stufen mit klarer Aufgabenverteilung voranzutreiben. In einem Wettbewerb wurden vier Pilotregionen ausgesucht, um anhand dieser Beispiele zu zeigen, wie die Umsetzung funktionieren und was andere Tourismus-Kommunen davon lernen könnten.
Meine damalige Destination war eine der Pilotregionen und die erste LTO in Schleswig-Holstein. Schritt für Schritt haben wir aus fünf kleinen Regionen mit über 80 Dörfern und drei Städten, vier Touristinformationen und fünf Touristikvereinen eine Destination geschmiedet. Nach acht Jahren voller Überzeugungsarbeit, Runden Tischen und Vorträgen waren fast alle Tourismus-Partner an Bord - zwei kleine Touristikvereine mit den zugehörigen Mitgliedern lehnten leider die Destinations-Idee ab und arbeiteten mit einem Teil der Leistungsträger weiter wie bisher. Die meisten Leistungsträger aus Hotellerie, Gastronomie, Handel und Freizeitanbietern sowie alle Kommunen folgten dem Destinationsmanagement, da sie erkennen konnten, dass das gemeinsame Handeln und eine gemeinsame Technik eine effektive Vermarktung auslöste mit steigendem Bekanntheitsgrad, einer klaren Positionierung und damit einer deutlichen Steigerung von Gästeankünften und Übernachtungszahlen. Auch Investitionen wurden ausgelöst, als die Nachfrage stieg. Unsere Erfahrungen wurden Unsere Erfahrungen wurden im zweiten Teil des Leitfadens dargestellt.
Destinationsmanagement 3.0
Die entstandenen geografischen Zusammenschlüsse zu Destinationen reichen lt. Bieger durch die Individualisierung der Urlauber und ihre verschiedenen Urlaubsmotive nicht mehr aus. Insbesondere das Verhalten der Urlauber im Entscheidungsprozess hat sich verändert. Durch Internet, Social Media und neue Buchungstechnologien agieren Urlauber anders als früher, erhalten ihre Informationen auf anderen Wegen und entscheiden sich aufgrund ihrer Urlaubsmotive für ein Reiseziel, wie schon im Blogtext Touristiker als Psychologen beschrieben.
Das erfordert von den Destinationen neue Prozesse und Strategien, z.B. in der Produktentwicklung und in den Marketingstrategien: Wie erreiche ich die Aufmerksamkeit von potentiellen Urlaubern in einem Markt mit solch hohem Wettbewerb? Wie schaffe ich es, dass der Urlauber auch bucht? Wie binde ich den Urlauber an meine Destination? Wie gewinne ich neue Urlauber? Und nicht zuletzt: Wie stelle ich die Qualität der einzelnen Leistungen innerhalb der Servicekette sicher?
Das Destinationsmanagement 3.0 steuert und koordiniert also den Weg der Urlauber durch alle Phasen der Customer Journey.
Hier habe ich als ehemalige Destinationsmanagerin mit meinem Team insbesondere auf den ersten Kontakt, den Urlauber zu uns aufbauen wollten, Wert gelegt: Denn hier merken sie, ob ihre Bedürfnisse und Motive bei uns erfüllt werden können, ob unsere Produkte genau die sind, die sie suchen. Das ist meist die Internetseite – und die sozialen Medien. Durch Fotos und Posts von Freunden werden die potentiellen Urlauber genauso auf eine Destination aufmerksam wie durch gutes Suchmaschinenmarketing und -optimierung. Die Internetseite muss inspirierend sein, emotional, Aufmerksamkeit wecken: „Hier kannst du dir deine Wünsche erfüllen!“ Informationen haben wir in der „zweiten Reihe“ untergebracht – nur der Zugang zur Buchung war auf jeder Seite sehr präsent und der Buchungsvorgang einfach, um die Interessierten nicht gleich wieder zu verlieren! Dazu gehört auch eine gut lesbare Telefonnummer mit Erreichbarkeit, denn trotz Onlinebuchung entstehen Fragen…
Unser Ziel war es, die Urlauber vom ersten Kontakt bis zur Rückkehr nach Hause und danach zu begleiten: Direkt vor Reiseantritt eine „Freude-Mail“ mit Tipps („Bald kommen Sie zu uns…“), Fotos zum Herunterladen und Selbst-Zusammenstellen, Anbieten und Teilen von besonderen Erlebnissen und Geheimtipps, schnelles und einfaches Buchen von Zusatzangeboten vor Ort binden Urlauber an die Destination. Dieses gilt auch für die Nachbereitung des Urlaubs zuhause: Die Destination kann durch ein effektives Kundenmanagementsystem dazu beitragen, den Urlaub nochmal zu erleben und Erinnerungen wach zu halten, z.B. durch Blogs, Fotofreigaben, Einladungen zu Veranstaltungen, einen Club, Austausch mit Urlaubern mit gleichen Motiven etc..
Um all das umsetzen zu können, haben wir Runde Tische (Netzwerkstrukturen) inszeniert, um mit allen Anbietern in der Destination in Kontakt zu kommen, sie über Urlaubsmotive und Bedürfnisse zu informieren (Analysen), mit ihnen an der Tourismusmarke und Positionierung zu arbeiten (Strategien), mit ihnen neue Produkte und Qualitätskriterien zu entwickeln (Steuerung) und die Veränderungen bei Übernachtungs- und Gästezahlen zu besprechen (Controlling). Unsere Aufgabe war es, den Markt zu beobachten, Prozesse und Produkte anzupassen, Marketing und Vertrieb professionell umzusetzen. Ebenso gab es politische Netzwerke, um die Finanzierung zu sichern, sowie Netzwerke mit benachbarten Destinationen, z.B. um gemeinsam Produkte zu entwickeln und zu vertreiben oder eine gemeinsame Buchungstechnologie zu nutzen, damit alle gemeinsam neue Zielgruppen gewinnen können.
Um Netzwerkstrukturen und Prozesse aufzubauen, ohne dass das Tagesgeschäft leidet, kann sich eine Destination natürlich eine Zeitlang von externen Beratern begleiten lassen. Wichtig ist jedoch, dann mit eigenen Prozessmanager/innen mit spezifischen Kompetenzen und einer Geschäftsführung mit hoher Netzwerkkompetenz und Weitblick zu arbeiten, um sich erfolgreich als touristische Marke zu etablieren.
Kennen Sie Beispiele für Destinationsmanagement 3.0? Schreiben Sie mir!
Kommentare
Einen Kommentar schreiben