Durch Krisen wachsen (Matthias Horx)
Wie man der Zukunfts-Paranoia entkommen kann
Dieser Text stammt aus der Zukunfts-Kolumne von Matthias Horx:
www.horx.com/die-zukunfts-kolumne
Siehe auch: https://thefutureproject.de/
„There is a crack in everything
that’s how the light comes in.”
Leonard Cohen
Als Zukunftsforscher werde ich oft von Journalisten gefragt, wie wir die Stapel-Krisen unserer Zeit – Krieg, Inflation, Long-Covid, Immer-Covid, China, Dürre, Gaspreisexplosion, Bahnchaos, Fachkräftemangel, Klimakatastrophe, die Liste ist endlos – jemals überwinden können.
MÜSSEN wir nicht Angst haben? Noch VIEL MEHR ANGST vor der Zukunft?
Ich versuche dann, freundlich und ruhig zu antworten. Etwa, dass Angst etwas Gutes hat. Sie will uns ja wachmachen. Aber dass man Krisen nicht einfach „überwinden” kann, im Sinne von: es wird alles so wie früher. Krise kommt vom griechischen krísis – Entscheidung, Loslösung, Wendung. Man kann zum Beispiel auf Krisen reagieren, indem man…
Spätestens an dieser Stelle hat mich der Journalist längst unterbrochen. Das will er überhaupt nicht wissen. Er will ja lediglich die Bestätigung dafür, DASS WIR IMMER MEHR ANGST HABEN MÜSSEN!
Bei Hoffnung und Veränderung schalten die meisten ab.
So bleibt am Ende nur Helene Fischer oder Weltuntergang.
Beziehungsweise beides gleichzeitig.
Also, die pure Apokalypse.
Es gibt prinzipiell drei Möglichkeiten, mit Krisen umzugehen.
Die erste ist die Angststarre.
Wir starren plötzlich dauernd in Bildschirme, wühlen uns durchs Internet, immer auf der Suche nach Zeichen dafür, wie schlimm es schon geworden ist. Dieser Immerschlimmerismus versetzt uns in eine Art Trance, in der wir nur noch das Negative und Bedrohliche, das Unmögliche und Vergebliche wahrnehmen können. Unsere Weltsicht schnurrt sich auf einen engen Wahrnehmungstunnel zusammen. Das endet früher oder später in einer Depression.
Die zweite Strategie nenne ich den Untergangs-Komfort.
Oder den Apokalypse-Hochmut. Es ist eine Haltung, die die Welt verloren gibt, und daraus Kapital schlägt. Elisabeth Raether schreibt in der ZEIT:
„Für viele Leute ist, paradoxerweise, die Apokalypse ein gemachtes Bett…“
ZEIT: „Heikel Sonnenschein”, 18.8.2022
Um diesen rätselhaften Satz zu verstehen, müssen wir uns ein wenig mit Evolutions-Psychologie befassen. Unser Hirn ̶̶– besser: unser MIND – ist nicht so sehr an Wahrheit oder „Realität” interessiert. Um in der Evolution zu überleben, und um schnell auf Bedrohungen reagieren zu können, brauchten wir vor allem Stimmigkeit zwischen unseren inneren Modellen und den Repräsentationen der Wirklichkeit.
Wenn es in uns selbst düster aussieht, rücken apokalyptische Vorstellungen die Welt wieder ins Lot. Das Innen und das Außen passen wieder zusammen. Das erzeugt paradoxerweise ein Gefühl der Befriedigung. Der Überlegenheit. Wir versetzen uns in eine höhere Position, von der wir auf die verderbte, untergehende Welt hinabschauen können.
Ich habe es ja immer schon gewusst!
Menschen sind einfach dumm!
Wir sind zum Aussterben verdammt!
Wird auch Zeit!
Die dritte Strategie, Krisen innerlich zu umschiffen, ist die moralische Panik.
Man steigert sich in einen Furor der Anklage, der Beschimpfung und Empörung. Man steigert sich in einen Furor der Anklage, der Beschimpfung und Empörung. Man stelle sich einen auf Dauerbetrieb programmierten Anton Hofreiter vor, der ständig „Waffen, Waffen, Waffen!“ brüllt. Oder eine über allen Talkshows schwebende Sarah Wagenknecht, die unentwegt nachweist, dass der Kapitalismus an ALLEM schuld ist. In unseren Talkshows und Zukunftsdebatten ist eine Erregungs-Maschine entstanden, die alles in moralische Schuldvorwürfe zerschreddert.
Dieser Empörismus bringt uns nur keinen Schritt weiter. Er verschärft vielmehr die Krisen.
Ein Teil dieses Effekts kommt aus der irrigen Annahme, dass man immer GEGEN etwas sein muss. Das ist nur im Fall einer Krise ziemlich unsinnig. Denn die Krise selbst ist ja die „Kritik“ der Verhältnisse.
Sascha Lobo hat das Phänomen, bei dem man immerzu beliebig gegen ALLES ist, einmal den „Kontrarianismus” genannt: Immer dagegen sein, egal wofür!
Wie aber können wir anders mit Krisen umgehen als zu erstarren, in Weltuntergangs-Phantasien zu versinken oder ständig mit der Wutpeitsche herumzurennen?
Wir könnten versuchen, herauszufinden, was sie uns zu sagen haben. Dazu bedarf es einer gewissen Stille. Einer Bereitschaft, die Phänomene von der anderen Seite zu sehen. Nehmen wir die Inflation. Ein echtes Panik-Wort. Es assoziiert Wirtschaftskrise, Wohlstandsverlust und Verelendung; vor allem für die Älteren, die noch die Superinflation der 20er Jahre im Generations-Gedächtnis haben. Diese ganze Angst-Klaviatur wird gerade in den Medien Länge mal Breite durchgespielt.
Man könnte aber auch fragen: Ist die Tatsache, dass Öl und Gas und manches andere teurer werden, eigentlich nur schlecht? Oder könnte es sein, dass vieles vorher einfach viel zu billig war? BRUTAL billig. Das Fleisch. Flugreisen. Service-Leistungen. Fossile Kohlenwasserstoffe, um die längst neue globale Machtkämpfe entstanden sind.
An dieser Stelle setzt natürlich sofort wieder die moralische Panik ein: „Was würden Sie denn einer armen fünfköpfigen Familie sagen, die…”
Abgesehen davon, dass ein starker Sozialstaat Energieteuerungen durch gezielte Transfers ausgleichen kann ̶̶- geht es hier nicht um etwas viel Grundsätzlicheres? Nämlich um die Frage, ob die Ökonomie die wahren Werte abbildet?
Wenn wir uns immer nur als „Verbraucher“ und „Konsumenten“ definieren – statt als Bürger, die unsere Welt gestalten –, dann läuft alles immer nur auf das Billigste hinaus. Und das rächt sich irgendwann, weil die Balance zwischen Werten und Preisen zerbricht.
Krisen haben manchmal überraschende Nebenwirkungen. Corona hat in der Arbeitswelt ein Phänomen in Gang gesetzt, das man in den USA die „Große Resignation” nennt. Millionen Menschen fliehen aus prekären, schlecht bezahlten, sinnlosen, frustrierenden oder einfach nicht-passenden Arbeitsverhältnissen. Sie kehren in einer Art existentiellen Selbstüberprüfung nicht mehr in ihre alten Jobs zurück. Das ist alles andere als Resignation. Es ist (meistens) die Suche nach Neubeginn.
Zur Zeit herrscht überall „Fachkräftemangel“ Aber das gespreizte Wort sagt schon, was das Problem ist. Es basiert auf der Vorstellung, dass uns die Arbeit für unsere Komfortabilität sozusagen günstig zusteht. „Fachkräfte“ immer im Überfluss vorhanden sind: Billig, preiswert, gehorsam. Wir haben das Handwerk, die Könnerschaft, den Service, missachtet. Und stattdessen auf digitale Effizienz-Illusionen gestarrt.
Jetzt beginnt eine Ära, in der Humankapital massiv aufgewertet wird.
Und das könnte doch eine gute Nachricht sein, oder?
Allerdings ist sie schwer zu verkraften.
Deshalb schreien und fürchten wir uns lieber.
Wir könnten auch versuchen, das WUNDERBARE an Krisen wahrzunehmen.
Das klingt jetzt nach Schönrednerei. Aber Krisen erzeugen oftmals eine Gegenkraft, über die wir uns WUNDERN können, wenn wir noch die Fähigkeit des Staunens besitzen.
Nehmen wir den Bildband „The Year That Changed Our World”.
The Year That Changed Our World: A Photographic History of the Covid-19 Pandemic English edition | by Marielle Eudes and Agence France Presse | 7 Dec 2021
Das ist ein opulentes Fotobuch mit den intensivsten Bildern der Corona-Epidemie. Man fragt sich: Wer will sich denn Fotos über Corona ansehen? Wenn man den Band jedoch aufschlägt, entsteht eine eigenartige Ergriffenheit. „Das Jahr, das die Welt veränderte“ zeigt ein tanzendes Paar in einer engen Einzimmerwohnung, mitten im Lockdown.
Gewichtheber in hermetischen Plastikhüllen, die miteinander trainieren. Leere Städte, leere Straßen, die plötzlich in einer magischen Sprache zu uns sprechen (Venedig, New York). Und in die plötzlich Dachse, Füchse und Pinguine einwandern.
Man sieht:
- Ein Orchester, dass vor einem WALD als Publikum spielt.
- Eine 100-jährige, die nach ihrer überstandenen Corona-Infektion mit Beifall aus dem Krankenhaus entlassen wird.
- Den Tanz auf den italienischen Balkonen am Höhepunkt des ersten Lockdowns.
- Der Stress und der Mut, die Verzweiflung und Erschöpfung der vielen Helfer in der Pandemie.
- Das Weinen am Grab der Opfer.
Nichts wird hier verschwiegen oder schöngeknipst. Es wird nur die Art und Weise gezeigt, wie Menschen gerade dann über sich hinauswachsen können, wenn alte Selbstverständlichkeiten außer Kraft gesetzt werden. Krisen können etwas freisetzen, was uns in die Zukunft führt.
Viele haben Corona als eine Art Attacke der Natur auf unsere Lebensrechte wahrgenommen. Plötzlich drangen Mikroorganismen auf unsere Lebensrechte ein und brachten alles durcheinander. Die Idee des „Killervirus“ geistert in den Köpfen herum. Wir können uns gar nicht vorstellen, dass die Pandemie einfach langsam ausklingen könnte. Das Virus adaptiert sich an den Menschen, und wir adaptieren uns an das Virus. Das nennt sich Co-Evolution, und ist in der langen Geschichte der Evolution eine erprobte Methode der Veränderung.
Vielleicht die ist „die Natur“ ja gar nicht unser feindlicher End-Gegner. Und will uns auch nicht „bestrafen“ oder „umbringen“. Wäre das nicht auch ein interessanter Gedanke in Bezug auf die „Klimakatastrophe“, die in unseren Köpfen und Herzen längst biblische Straf-Dimensionen angenommen hat?
Ja, es ist sehr trocken dieses Jahr. Fürchterlich trocken. Es brennt häufiger und heftig in den Wäldern. Der Wasserstand der Flüsse und Stauseen ist niedrig. Das gab es auch früher schon, aber heute fällt es uns viel mehr auf. Die Bilder von Feuer, Dürre und Flut wirken eindringlicher, näher, wenn sie in einer bestimmten Weise geframt sind. Als Zeichen des Untergangs.
Aber kann „die Natur“ wirklich durch uns untergehen?
Oder ist das wieder nur eine neue Hybris?
Vor etwa 12.000 Jahren verschwanden in einem klimatischen Übergang in Eurasien die meisten große Wildtiere. Es wurde deutlich wärmer. Unsere Vorfahren erfanden daraufhin neue Produktions- und Lebensweisen. Die agrarische Revolution begann, man baute große Städte, in denen viele Menschen lebten. Und miteinander Handel trieben. Große, komplexe Gesellschaften entstanden.
Ende des 16. Jahrhunderts gab es in Europa die Kleine Eiszeit. Viele Menschen verhungerten, weil jahrelang Ernten ausfielen oder verdarben. Aber dadurch erlebten auch Techniken der Vorratshaltung und Konservierung, innovative Methoden der Viehzucht und des Ackerbaus einen Schub.
Gut 200 Jahre vor der Regenflut im Ahrtal im Jahr 2021 gab es eine noch größere Flut. Das Hochwasser von 1804 forderte 63 Menschenleben; 129 Wohnhäuser, 162 Scheunen und Stallungen, 18 Mühlen, 8 Schmieden und nahezu alle Brücken, insgesamt 30, wurden von den Wassermassen weggerissen. Damals wohnten viel weniger Menschen im Ahrtal. Weitere 469 Wohnhäuser, 234 Scheunen und Ställe, 2 Mühlen und 1 Schmiede wurden beschädigt, 78 Pferde und Zugrinder kamen in den Fluten um; die gesamte Ernte wurde vernichtet. Der Spitzenabfluss der Ahr von 1.100 m³/sek war deutlich höher als 2021 (700 m³/sek).
de.wikipedia.org
1362 gab es die „Grote Mandränke“, eine Flut, die wahrscheinlich 100.000 Menschen das Leben kostete und die heutige Schleswig-Holsteinische Westküste mit ungeheurer Gewalt in lauter Bruchstücke zerlegte. Unter anderem entstand damals die schöne Insel Sylt.
Im Jahre 1540 wurde ganz Europa von einer radikalen Dürre ergriffen. Es gab ein ganzes Jahr keinen Regen, die Ernten fielen aus, und Wein wurde billiger als Wasser. Alkoholismus und Hexenverbrennungen stiegen rapide an.
1612 schwemmte eine gigantische Flutkatastrophe im Alpenraum ganze Dörfer und Städte davon.
In den 1930er Jahren – lange vor dem steilen Anstieg der fossilen Verbrennung – kam es im amerikanischen Westen, der Kornkammer Amerikas, zu einer jahrelangen Dürreperiode, in der sich ALLES in Staub verwandelte. Tiere, Pflanzen, alles starb – mitten in der Weltwirtschaftskrise. Die „Dust Bowl“ spielt sogar eine Rolle in einem bekannten Science-Fiction-Film, in dem Astronauten von der Erde fliehen, um eine Ersatzerde zu suchen („Interstellar”, mit Matthew McConaughey in der Hauptrolle).
Ich bringe diese Beispiele nicht, um die menschengemachte Klima-Gefahr zu verharmlosen. Es geht aber darum, eine Illusion sichtbar zu machen: die Vorstellung der „harmonischen Natur“, die wir durch unser sündiges Verhalten „durcheinanderbringen”. Diese Vorstellung führt eher zu einer inneren Trotzigkeit, oder einer Schicksals-Ergebenheit, die uns nicht ins Handeln, sondern ins Resignieren bringt. Und in eine theatralische Art von Pathos: Wir Sünder gehören bestraft.
Darin kann man sich regelrecht suhlen.
Unsere Vorfahren haben es geschafft, in die härtesten Klimazonen einzuwandern, in der Wüste oder am Polarkreis zu überleben. Wir haben heute viel mehr Möglichkeiten – technischer, systemischer, innovativer Natur –, die unsere Vorfahren niemals hatten. Wir können uns besser anpassen. Wir können unsere Lebens- und Produktionsweisen umstellen. Wir können eine Zivilisation errichten, ohne dabei dauernd riesige Mengen CO&sub2; in die Atmosphäre zu pumpen, ohne dabei in Sack und Asche gehen zu müssen. Ja, das können wir.
Allerdings müssen wir es uns auch zu-trauen.
Der amerikanische Klimaforscher Michael E. Mann hat in einem Essay den Weltuntergangsglauben als das neue Leugnenbezeichnet: „Climate doomism is in many ways as pernicious as outright climate change denial, for it leads us down the same path of inaction.“, – Klima-Katastrophismus ist in vielerlei Hinsicht genauso schädlich wie direkte Klimaleugnung, weil er uns auf denselben Pfad des Nichtstuns führt.
www.washingtonpost.com
Und was ist mit der zweiten schrecklichen Mega-Krise unserer Tage – dem russischen Krieg in der Ukraine? Wie soll man daran etwas „Positives“ finden (und ist das nicht reinster Zynismus)?
Ich bin neulich auf einer Website für ukrainische Street-Art gestoßen; Wandkunst im öffentlichen Raum, Widerstandskunst gegen den Putin’schen Krieg. Besonders ist mir das Wandgemälde Nr. 23 aufgefallen.
Eine Frau, in deren Gesicht sich die ganze Verletzlichkeit des Menschen im Krieg zeigt.
www.boredpanda.com
Verletzlichkeit kann unheimlich mächtig sein. Und ist es nicht auch das, was der Ukraine-Krieg uns erzählt? Wie verletzlich die menschliche Zivilisation immer noch gegenüber Wahn und Hass, kollektiver Manipulation und Diktatur ist. Aber auch, wie Widerstand und Würde, Hoffnung und Resilienz sich immer wieder neu organisieren?
Es ist beeindruckend, wie sich da im Osten Europas eine Nation formt, die ihre eigenen Ziele definiert – ein ungeheuer energetischer Widerstand, der einfach nicht zu besiegen ist (natürlich kann auch das nicht perfekt sein).
Ist es nicht auch erstaunlich, dass Europa diese Schockwelle in einer nie da gewesenen Entschlossenheit und Klarheit beantwortet hat – allen Putin-Schwurblern und Orbán-Fans zum Trotz? Und wir als europäische Bürger dennoch nicht – auch wenn manche das behaupten – in einen „Kriegsrausch“ verfallen sind?
Hat sich wirklich nichts verändert seit den dunklen Zeiten des 20. Jahrhunderts, als die Demokratien schwach, die Politiker unentschlossen waren, und die Tyrannen leichtes Spielt hatten?
Sind „Menschen“ wirklich immer nur dumm?
Wiederholt sich die Geschichte wirklich bis zum Untergang?
Oder überrascht sie uns immer wieder aufs Neue?
Radikale Akzeptanz
Wer jemals in einer echten Lebenskrise war – schwere Krankheit, lange Trauer, beruflicher Absturz -, der weiß um die Bedeutung der radikalen Akzeptanz.
Radikale Akzeptanz heißt, die Ohnmacht zu akzeptieren, die wir als Menschen immer wieder erleben.
Das wirkt auf eine eigentümliche Weise befreiend.
Es erfordert, dass wir uns neu für die Zukunft entscheiden.
Ent-scheiden heißt, sich von Illusionen zu verabschieden. Das Alte, Vertraute, auf dem wir so sehr beharren, und das jetzt krisenhaft geworden ist, loszulassen.
Radikale Akzeptanz heißt: Es ist, wie es ist. Zu akzeptieren, dass es keine schnelle LÖSUNG gibt. Aber viele LOS-Lösungen, die sich zu einem Weg zusammenfügen.
Marshall McLuhan, der Medienprophet der 60er Jahre formulierte:
„Wenn wir mit dem Neuen konfrontiert sind, neigen wir dazu, uns an die Dinge und Gerüche der jüngsten Vergangenheit zu klammern. Wir schauen auf die Gegenwart durch einen Rückspiegel. Wir marschieren rückwärts in die Zukunft.“
Vielleicht kommt man auch im Rückwärtsgang in die Zukunft. Aber wäre es nicht schön, den Blick wieder nach vorne zu richten? Hinein in die Möglichkeiten?
Der Possibilismus
In meinem Gespräch mit den Journalisten würde ich gerne auf den Punkt kommen, um den es eigentlich geht. Aber so weit kommen wir nie. Die meisten Interviews sind maximal 3.30 Minuten lang. Mehr kann der heutige Medienkonsument nicht verkraften.
Es sind, möchte ich sagen, nicht so sehr die Krisen, vor denen wir uns fürchten sollten. Fürchten sollten wir uns vor der Hysterie, mit der wir versuchen, Krisen andauernd anzuschreien.
Leben kann nur gelingen, wenn wir auch das Nichtgelingende annehmen. Ist es nicht das, was uns unentwegt stresst? Der ewige Perfektionismus, die Kontrollwut, alles soll funktionieren, die Züge müssen pünktlich fahren, das Bruttosozialprodukt muss steigen, sonst werden wir richtig sauer! Krisen hingegen zwingen uns – im Wortsinn – zu Gelassenheit. Weil es keine einfachen Lösungen gibt – sonst wäre es ja keine Krise -, zwingen sie uns zur Anerkennung von Widersprüchen, die in der Natur der Dinge liegen. Sie fordern nicht „Lösungen“, sondern ein Hindurch-Navigieren, ein Wandeln auf unsicherem Terrain.
Krisen kann man nicht „überwinden“. Sie lösen sich auf, wenn aus ihnen eine neue Erzählung, ein neues Narrativ entsteht, das in die Zukunft führt.
Eine neue Arbeitswelt.
Ein neues Europa.
Eine neue Energiepolitik.
Ein neuer Frieden.
Wir sollten nicht vergessen: Am anderen Ufer der hysterischen Infantilität, mit der wir dauernd auf die Krisen einschlagen, stehen grinsend die Populisten, die Autokraten und Diktatoren. Sie freuen sich sehr über unsere Verwirrungen und Angstschwurbeleien. Sie bieten einfache Antworten, die auf Gewalt, Lügen und Nostalgie basieren. Das endet immer in der Katastrophe.
Video auf www.yotube.com: Our World in Data
Der Meta-Statistiker Dr. Max Roser hat in seinem Welt-Statistik-Portal ourworldindata.org eine schöne dialektische Dreier-Formel für eine konstruktive Zukunfts-Haltung gefunden:
- Die Welt ist schrecklich.
- Die Welt ist viel besser (als wir glauben).
Beide Aussagen sind wahr. Dazu kommt ein entscheidender dritter Satz:
- Die Welt kann viel besser werden.
Es geht um eine Grundhaltung des Wohl-Wollens. Gegenüber uns selbst, gegenüber der Welt, mit all ihren Schwächen und Zu-Mutungen.
Es geht um Erwachsenwerden in einer Welt, die nicht perfekt, aber vielleicht besser werden kann.
Zukunft ist eine Entscheidung.
Mehr ist dazu nicht zu sagen.
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